Die schottische Hardrockband Nazareth besuchte anlässlich ihres 50-jährigen Bestehens auch das nicht ausverkaufte, aber doch gut gefüllte Essener Turock. Im Gepäck hatten sie neben ihrer neuen Scheibe „Tattooed On My Brain“ auch die deutschen Hardrocker von Formosa. Die drei Lokalmatadoren heizten das Publikum gut an, erwiesen sich als gelungener Support von Nazareth und haben an dem Abend mit Sicherheit den einen oder anderen neuen Fan hinzugewonnen.
Besonders in Erinnerung blieben die drei starken Nummern „Rock`N`Roll Generation“, „Bad Boys“ und „Fuck On Your Liver“, bei denen auch das Publikum in die Refrains einbezogen wurde. Nach dem etwa 45-minütigen Auftritt und einer etwas längeren Umbaupause mit Feinjustierung des Sounds, ertönte gegen 21:30 Uhr dudelsackgeprägte Musik, die einem auch in den schottischen Highlands hätte begegnen können.
Im Dämmerlicht betraten die Musiker die Bühne und aus zunächst scheinbar planlosem Spiel, entwickelte sich der Opener „Turn On Your Receiver“. Ein passender krachender Beginn eines Konzertes, dem mit „Never Dance With The Devil“ vom aktuellen Album „Tattooed In My Brain“ folgte. Nazareth zeigten hier auch ein neues Gesicht und verließen sich nicht nur auf die alten Stücke, sondern streuten auch neues, starkes Material ein und bewiesen, dass sie eine lebendige Band sind, die sich mit den Umbesetzungen der letzten Jahre, auch weiterentwickelt hat.
Von der Ursprungsformation war nach dem krankheitsbedingten Ausscheiden des Sängers Dan McCafferty (2013), dem Tod des Drummers Darrel Sweet (1999) und dem schon Jahrzehnte zurückliegenden Austritt des Gitarristen Manny Charlton (1990), nur noch der bestens gelaunte, mit dem Publikum feixende, sehr agile Pete Agnew am Bass vertreten.
Jimmy Murrison an der Gitarre kann allerdings auch schon fast als Urgestein gesehen werden, wie auch Petes Sohn Lee, der nun schon 20 Jahre die Stöcke in der Band schwingt. Klasse eingefügt hat sich Sänger Carl Sentance, der stimmlich McCafferty voll ersetzt, ohne ihn nachzuahmen. Er imitiert diesen aber nicht, sondern drückt den Songs seinen eigenen Stempel auf.
Nach den gelungenen Auftaktliedern, die für die entsprechende Stimmung sorgten, legten Nazareth erstmal einige Klassiker nach. Dem krachenden „Razamanaz“, mit stakkato-artigem Gitarrenspiel des bestens aufgelegten Murrison, dessen Gesicht meist durch die graublonde Mähne verdeckt war, folgte schon sehr früh das Joni Mitchel- Cover „This Flight Tonight“, für mich immer wieder einer der stärksten Songs, mit seinem unverwechselbaren treibenden Rhythmus.
Mit „Dreams On“, „Holiday“ und „My White Bicycle“ wurde etwas Fahrt herausgenommen. „Change“, ein neuer sehr melodischer Hardrocksong, war wieder von Sentances Stimme geprägt. Erfreulich, dass die neuen Songs vom Publikum gut angenommen wurden, und einem so eine Art Greatest Hits-Konzert, was viele der altgedienten Bands auf die Bühne bringen, so erspart blieb.
„Hearts Grown Cold“, wo Sentance nun zusätzlich eine akustische Gitarre spielte, war der atmosphärisch stärkste Song des Abends. Sentance mit eindrucksvollem Gesang, Murrison mit gefühlvollem Gitarrenspiel und die Familie Agnew mit dem dazu passenden Rhythmus zeigten, dass Nazareth auch Balladen vortrefflich live auf die Bühne zaubern können.
Mit dem krachenden „Beggars Day“, das in einem mehrminütigen, furiosen psychedelischen Instrumentalgewitter endete, riss man die Besucher abrupt aus allen Träumen. „Changin‘ Times“ und „Hair Of The Dog“ hatten es ebenfalls in sich. Dass nach diesen beiden erprobten Klassikern mit „Tattooed In My Brain“ der Titelsong des aktuellen Albums folgte, mag gewagt sein, zeigt aber auch, welchen Stellenwert die neuen Tracks für die Band haben, womit scheinbar eine Art neue Epoche eingeläutet wird.
Danach war wieder Träumen angesagt, denn mit dem Everly Brothers-Cover „Love Hurts“, gab es den wohl erfolgreichsten Song von Nazareth und man konnte bei dem einen oder anderen Besucher ein rollendes Tränchen erkennen. Waren es Erinnerungen an einen Knuddel-Blues mit der Jugendliebe?
Den Abschluss bestritt dann das sphärische „Morning Dew“, bei dem Agnew am Bass glänzte, nach und nach der Rest der Band einsetzte, um zum Ende hin, in psychedelischer Manier, das Konzert zu beenden. Schön war hier, wie Agnew an den Drums, den Rhythmus von „This Flight Tonight“ in den Song zauberte.
Das nun regelrecht aufgeputschte Publikum benötigte nicht lange, um die Band wieder auf die Bühne zu schreien. Mit dem heftigen „Miss Misery“, der stark vorgetragenen Ballade „Where Are You Now“ und „Go Down Fighting“, wurden noch drei Songs nachgelegt, die man vorher nicht als Zugabe erwartet hätte, die aber ein würdiger Abschluss des Konzerts waren.
Quirlige 100 Minuten offerierten, dass man Nazareth nicht zum alten Eisen legen sollte, sondern dass sich eine alte Hardrockband, irgendwie wieder neu erfunden hat. Gut rüber kam die Freude der Band am Spiel und eine offenkundige Harmonie, wobei insbesondere der Fronter Sentance die Nähe der Saitenspieler suchte und diese beim Spiel teilweise umarmte.
Bemerkenswert war auch die Interaktion mit dem Publikum, des Öfteren war erkennbar, wie die Musiker direkt einzelnen Besuchern zuzwinkerten. Lustig war der Hinweis an einen Fan, der mit einem recht dicken Pullover und Mütze bekleidet war, dass doch schon Frühling sei. Wenn man diesen Ausspruch als Motto des Abends nimmt, kann gesagt werden, dass Nazareth, auch bedingt durch die schrittweise erfolgten Blutauffrischungen, einen zweiten Frühling erleben und bei so manchem gealterten Fan Gefühle dieser Art erweckt hatten. Ein starker Auftritt, mit einem gut gewählten Mix alter und neuer Songs, der vielleicht noch zum Besuch des einen oder anderen folgenden Konzerts animiert.
Hier in der Nähe wird Nazareth nochmal Anfang Dezember im Dortmunder Piano auftreten, für mich persönlich ein Pflichttermin. Ein Dank auch an das Management der Band für die problemlose Akkreditierung und dem Team des Turocks, welches wieder mal dazu beitrug, dass der Essener Hardrocktempel, einen tollen Abend erleben durfte.
Line-up Formosa:
Line Up Formosa:
Nik Bird (lead vocals, bass)
Nik Beer (guitars, vocals)
Paris Jay (drums)
Line-up Nazareth
Carl Sentance (lead vocals, acoustic guitar)
Jimmy Murrison (guitars)
Lee Agnew (drums)
Pete Agnew (bass, vocals)
Text und Bilder: Gernot Mangold
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